Seit 2021 steigen die Preise in Europa. Schnell war von Inflation die Rede. Manche Ökonomen wollten diesen Begriff nicht vorschnell nutzen. Doch was verbindet sich mit dem Wort? Was heißt demgegenüber Deflation? Und was ist mit dem Begriff der Stagflation gemeint?
Was meint Inflation?
Inflation bezeichnet einen dauerhaften Anstieg des gesamten Preisniveaus einer Volkswirtschaft. Nicht nur die Preise für einzelne Güter oder Dienstleistungen sind betroffen, sondern alle Preise und damit das Preisniveau (der Durchschnitt der Güterpreise) insgesamt. Dabei handelt es sich um einen Prozess des Ansteigens von Preisen. Menschen können sich für den gleichen Geldbetrag immer weniger kaufen.
Wie wird Inflation gemessen?
Zugrunde gelegt wird ein Preisindex. Es gibt verschiedene. Der Preisindex für das Bruttoinlandsprodukt gibt die Preisentwicklung aller Güter und Dienstleistungen wieder, die zum BIP eines Landes gerechnet werden. Der Preisindex für die Lebenshaltung bzw. der Verbraucherpreisindex spiegelt die Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs. Dabei wurde ein sogenannter Warenkorb festgelegt. Er besteht aus ca. 650 Waren und Dienstleistungen (in Deutschland). Für die Europäische Union gilt der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HPVI). Dieser spiegelt die Daten der nationalen Statistikämter des Euroraums und der gesamten EU. Die Daten sind aufgrund der „harmonisierten Methodik“ vergleichbar.
Eine Übersicht über die Inflationsentwicklung der einzelnen Länder nach dem HVPI wird über EUROSTAT bereitgestellt (2013-2021). Das statistische Amt der Europäischen Union bietet auch Zahlen zur Teuerung je nach Wirtschaftszweigen (2022).
Was sind Ursachen von Inflation?
Sie sind meist vielschichtig und werden kontrovers diskutiert. Es gibt verschiedene Meinungen dazu.
Da ist die Auffassung, dass eine Ausweitung der Geldmenge im Verhältnis zum Güterangebot unweigerlich zu Inflation führen müsse. Diese Sicht wird u.a. mit dem Argument zurückgewiesen, dass es dann bereits in den letzten 20 Jahren eine große Inflation hätte geben müssen. Denn das Geldvolumen auf der Welt ist um ein Vielfaches größer als der Wert des Bruttosozialprodukts der Welt.
Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass eine Inflation nachfrage- oder/und angebotsseitig bedingt sein kann.
Zu einer durch die Nachfrageseite einer Volkswirtschaft ausgelösten Inflation kann es kommen, wenn zum Beispiel viele Bürger gleichzeitig aufhören zu sparen und Geld für Konsumgüter ausgeben. Oder wenn Unternehmen in großer Zahl investieren und dafür Maschinen nachfragen. Oder wenn im Ausland in besonderem Maß Produkte eines Landes gekauft werden und die Produktion damit nicht Schritt halten kann.
Ebenso kann ein starker und alle Preise betreffender Preisanstieg durch die Angebotsseite einer Wirtschaft ausgelöst werden. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte Lohn-Preis-Spirale: Aufgrund der Marktmacht von Unternehmen dominieren die Gewinnerwartungen die Preisbildung (Profit Push Inflation). Umgekehrt können Gewerkschaften aufgrund ihrer Machtmacht (wenn vorhanden) Lohnsteigerungen durchsetzen. Akzeptieren Unternehmen nicht, dass sie dadurch geringere Gewinne machen oder können sie die gestiegenen Löhne nicht durch höhere Produktivität ausgleichen, werden sie diese höheren Kosten auf die Preise umlegen. Sie steigen. Die Vertreter der Arbeitnehmer versuchen ihrerseits, dies durch höhere Löhne auszugleichen. Und so weiter.
Inflation – Preiserhöhung
Von einer Inflation zu unterscheiden ist eine Preiserhöhung, die nur einzelne Güter betrifft oder nur in einzelnen Segmenten einer Wirtschaft auftritt. Dieser Preisanstieg kann auch zu einer Erhöhung des allgemeinen Preisniveaus führen, da einzelne Produkte Bestandteil vieler anderer Produkte sind wie zum Beispiel das Erdöl.
Die Situation 2022
Derzeit (August 2022) steigen besonders die Preise für Energie (vor allem Gas und Öl) sowie Lebensmittel. Da Energie für die gesamte Produktion gebraucht wird und da ohne die (fossilen) Energieträger ein Wirtschaften im Kapitalismus nicht möglich ist, steigen dadurch viele andere Preise.
Was sind die Gründe? Mit Beginn des Krieges in der Ukraine im Februar 2022 stiegen die Gaspreise sprunghaft an. Dies ist auf eine Gasmangellage infolge der Sanktionen gegen Russland sowie die reduzierte Liefermenge von Öl und Gas durch die russischen Betreiber zurückzuführen. Das geringere Angebot trifft auf einen in Deutschland liberalisierten Markt, so dass offenbar auch langfristige Lieferverträge von Gas an den Börsenpreis von Gas gekoppelt sind. In dieser Situation beauftragte die Regierung Deutschlands eine private Firma, die Trading Hub Europe (THE), an den Börsen in großen Mengen Gas einzukaufen. Diese starke Nachfrage eines Großkunden im staatlichen Auftrag trieb die Preise künstlich nach oben. Sie sind verzerrt. Kritiker argumentieren, dass dies hätte vermieden werden können, wenn THE wie üblich den Ein- und Verkauf von Gas über Termingeschäfte geregelt hätte.
Hinzu kommt das sogenannte Merit-Order-Prinzip auf dem Strom-Markt: Alle Anbieter rechnen nach dem Preis des teuersten Erzeugers ab. Das sind derzeit die Gaskraftwerke. Das hat zur Folge, dass zum Beispiel weit preisgünstigere Anbieter, zum Beispiel von Ökostrom, trotzdem zu hohen Preisen ihren Strom verkaufen. Durch die Berechnung der Strom-Preise machen sie hohe Gewinne, die mit leistungslosen Einkommen (Renten) gleichgesetzt werden können. Sie werden von den Verbrauchern über ihre Rechnungen gezahlt.
Eine Inflation ist daher nichts, was plötzlich über eine Gesellschaft hereinbricht. Sie kann durch unterschiedliche Entwicklungen und das Handeln verschiedener Akteure entstanden sein. Sie kann auch durch politische Fehlentscheidungen verursacht sein.
Konsequenzen einer Inflation für die Wirtschaft
Eine Inflation trifft die Menschen unterschiedlich. Wenn ihr Einkommen nicht mindestens ebenso steigt wie die Preise, können sie sich für dasselbe Geld weniger kaufen. Dies trifft besonders Menschen mit einem kleinen Portemonnaie hart. Zu ihnen gehören Erwerbslose, Familien, die von Kinderarmut betroffen sind oder Menschen in Altersarmut. Inflation schädigt ihre Existenz.
Inflation führt zu Verlusten bei den Gläubigern und zu Gewinnen bei den Schuldnern. Wer Geld oder Vermögen angelegt hat, verliert es. Denn es ist weniger wert, wenn die Preise steigen, nicht aber die Zinsen. Spiegelbildlich dazu gewinnen Schuldner, die einen Kredit aufgenommen haben. Wenn die Teuerungsrate höher ist als der Zins, zu dem ein Kredit aufgenommen wurde, zahlen sie weniger Schulden zurück. Dies kann auch den Staat betreffen, der so seine Staatsverschuldung abbauen kann.
Was heißt Deflation?
Damit wird eine umgekehrte Entwicklung bezeichnet. Die Preise sinken über eine längere Zeit und in verschiedenen Wirtschaftsbereichen, so dass das Preisniveau insgesamt sinkt. Unternehmen investieren nicht mehr, weil sie damit rechnen, dass die Preise noch weiter sinken und sie keine Gewinne machen. Ebenso halten sich Käufer zurück, weil sie erwarten, dass die Produkte und Dienstleistungen noch billiger werden. Eine Rezession droht. Doch der Wert des Geldes steigt.
Was heißt Stagflation?
Dieses Wort ist eine Zusammensetzung aus „Stagnation“ und „Inflation“. Es zeigt an, dass im Bereich der Realwirtschaft (der Produktion und dem Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen) ein nur geringes Wachstum und oft auch Arbeitslosigkeit gibt. Die wirtschaftliche Entwicklung stagniert. Auf der Geldebene der Wirtschaft findet zur gleichen Zeit dauerhafter Preisanstieg in nahezu allen Bereichen der Wirtschaft statt.
Eine Stagflation wird häufig durch sogenannte Angebotsschocks ausgelöst. Beispiele hierfür sind die Energiekrise in Europa spätestens seit 2022 oder gestörte Lieferketten infolge der Corona-Krise 2020-2021 und andere. Dadurch kommt die Produktions ins Stocken, zugleich verteuern sich die Produkte.
Was tun gegen eine Inflation?
Ursachen bekämpfen
Zunächst gilt es, die Ursachen für den Anstieg der Teuerungsrate in den Blick zu beheben. Im Zusammenhang mit der aktuellen Situation (2022) bedeutet dies, a) Zugang zu preiswertem Öl und Gas zu gewinnen und b) die Preisbildungsmechanismen auf den Öl- und Gasmärkten zu ändern.
Politik der Zentralbank
Die Zentralbank eines Wirtschaftsraums hat die Aufgabe, ein stabiles Preisniveau sicher zu stellen. (Die Federal Reserve der USA hat außerdem Auswirkungen der Geldpolitik auf den Arbeitsmarkt zu berücksichtigen.) In „normalen“ Zeiten verfolgt die Europäische Zentralbank das Ziel einer Inflationsrate von fast 2%. Dies wird als erforderlich angesehen, um Wachstum zu ermöglichen. Kommt es zur Inflation, kann sie die Zinsen erhöhen. Dadurch werden seltener Kredite aufgenommen, seltener investiert, weniger produziert, verkauft und nachgefragt. Dies kann dämpfend wirken. Es kann aber auch eine Deflation einleiten. Diese Gefahr besteht dann, wenn die Ursachen mit einer solchen Zinspolitik nicht behoben werden können.
Tipps für jede/n Einzelne/n
Die Empfehlungen stehen in Abhängigkeit von der Vermögenssituation jeder Bürgerin/jedes Bürgers.
– Versuchen, die Situation zu verstehen, die Ursachen zu erkennen und mögliche Entwicklungen einzuschätzen.
– Bei Prognose einer längerfristig anhaltenden Inflation: langfristige Gebrauchsgüter jetzt anschaffen (z.B. Drucker, PC, Fahrrad etc.).
– Bei Erwartung einer mittelfristigen bzw. vorübergehenden Inflation: Verzicht auf den Kauf von (langlebigen) Gütern und Dienstleistungen.
(Beide Strategien sind aus der Sicht einer Einzelperson rational. Wenn viele so handeln, kann dies krisenverstärkend wirken.)
– Erwerb von Immobilien oder/und Territorium, am besten solches, das auch landwirtschaftlich genutzt werden kann.
– Zusammenschließen mit anderen zu Genossenschaften oder aktiven Freundeskreisen, die sich unterstützen und selbst Nahrungsmittel anbauen.
– Erwerb von Silber oder/und Gold, um im äußersten Fall des Währungsausfalls ein Tauschmittel zu haben.
– Vorrätig halten von Bargeld, da es aufgrund mehrerer, gleichzeitig ablaufender Krisen zu einem Bankrun kommen kann.
– Gegebenenfalls Erwerb von Aktien oder Anleihen nach ausführlicher Beratung mit verschiedenen Anbietern und z.B. Verbraucherschutzorganisationen; Berücksichtigung von ethischen Aspekten (keine Aktien für Krieg und Rüstungsindustrie) sowie wirtschaftlichen Entwicklungen (Zukunft mittelständischer Unternehmen).
– Anlegen von Krisenvorräten: Informationen sollte das Innenministerium jedes Landes bereitstellen. Andere Hinweise sind zahlreichen Internetquellen zu entnehmen.
– Keine Markenprodukte kaufen, andere sind ebenso gut, aber preiswerter,
– Nur notwendige Versicherungen und Verträge abschließen, gegebenenfalls kündigen, zum Beispiel Mobilfunkverträge, Zeitungsabos, Reparaturversicherung, Versicherungen für Glas, Brillen, Handys etc.
– Sich politisch engagieren für eine Wirtschaftspolitik, in der sich Inflation und Deflation erübrigen. Demokratie braucht Beteiligung! Die Macht der Bürger/innen ist oft größer, als sie es denken mögen.
Literatur
Brächer, Michael / Schultz, Stefan, Deutschlands teure Gashamsterei, DER SPIEGEL, 42/2022, 14.10.2022, https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/energiekrise-nachlaessigkeit-beim-gaseinkauf-soll-preise-in-die-hoehe-getrieben-haben-a-75cee149-18c9-4658-b863-b52cf4597271 (03/09/2022)
Budzinksi, Oliver / Jasper, Jörg / Michler, Albrecht, F., Inflation, in: Gabler Wirtschaftslexikon, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/inflation-39320/version-262731 (03/09/2022)
European Central Bank | EUROSYSTEM, Inflation measurement and the strategy review, https://www.ecb.europa.eu/home/search/review/html/inflation-measurement.en.html (03/09/2022)
EUROSTAT | Euro-Indikatoren, Schnellschätzung – Oktober 2022. Jährliche Inflation im Euroraum auf 10,7% gestiegen, https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/15131964/2-31102022-AP-DE.pdf/4675c498-4825-af49-fcfa-0aebf563cd22?t=1666964020348 (31.10.2022)
EUROSTAT, HPVI-Inflationsrate, https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/tec00118/default/table?lang=de (30.10.2022)
Merit Order, in: Wikipedia, https://en.wikipedia.org/wiki/Merit_order (03/09/2022)
Mitteldeutscher Rundfunk, Kurz erklärt – das Merit-Order-Prinzip, https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wirtschaft/video-652078.html (03/09/2022)
Wohltmann, Hans-Werner, Stagflation, in: Gabler Wirtschaftslexikon, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/stagflation-45364 (03/09/2022)