Inflation?

Seit 2021 steigen die Preise in Europa. Schnell war von Inflation die Rede. Manche Ökonomen wollten diesen Begriff nicht vorschnell nutzen. Doch was verbindet sich mit dem Wort? Was heißt demgegenüber Deflation? Und was ist mit dem Begriff der Stagflation gemeint?

Was meint Inflation?

Inflation bezeichnet einen dauerhaften Anstieg des gesamten Preisniveaus einer Volkswirtschaft. Nicht nur die Preise für einzelne Güter oder Dienstleistungen sind betroffen, sondern alle Preise und damit das Preisniveau (der Durchschnitt der Güterpreise) insgesamt. Dabei handelt es sich um einen Prozess des Ansteigens von Preisen. Menschen können sich für den gleichen Geldbetrag immer weniger kaufen.

Wie wird Inflation gemessen?

Zugrunde gelegt wird ein Preisindex. Es gibt verschiedene. Der Preisindex für das Bruttoinlandsprodukt gibt die Preisentwicklung aller Güter und Dienstleistungen wieder, die zum BIP eines Landes gerechnet werden. Der Preisindex für die Lebenshaltung bzw. der Verbraucherpreisindex spiegelt die Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs. Dabei wurde ein sogenannter Warenkorb festgelegt. Er besteht aus ca. 650 Waren und Dienstleistungen (in Deutschland). Für die Europäische Union gilt der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HPVI). Dieser spiegelt die Daten der nationalen Statistikämter des Euroraums und der gesamten EU. Die Daten sind aufgrund der „harmonisierten Methodik“ vergleichbar.

Eine Übersicht über die Inflationsentwicklung der einzelnen Länder nach dem HVPI wird über EUROSTAT bereitgestellt (2013-2021). Das statistische Amt der Europäischen Union bietet auch Zahlen zur Teuerung je nach Wirtschaftszweigen (2022).

Was sind Ursachen von Inflation?

Sie sind meist vielschichtig und werden kontrovers diskutiert. Es gibt verschiedene Meinungen dazu.

Da ist die Auffassung, dass eine Ausweitung der Geldmenge im Verhältnis zum Güterangebot unweigerlich zu Inflation führen müsse. Diese Sicht wird u.a. mit dem Argument zurückgewiesen, dass es dann bereits in den letzten 20 Jahren eine große Inflation hätte geben müssen. Denn das Geldvolumen auf der Welt ist um ein Vielfaches größer als der Wert des Bruttosozialprodukts der Welt.

Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass eine Inflation nachfrage- oder/und angebotsseitig bedingt sein kann.

Zu einer durch die Nachfrageseite einer Volkswirtschaft ausgelösten Inflation kann es kommen, wenn zum Beispiel viele Bürger gleichzeitig aufhören zu sparen und Geld für Konsumgüter ausgeben. Oder wenn Unternehmen in großer Zahl investieren und dafür Maschinen nachfragen. Oder wenn im Ausland in besonderem Maß Produkte eines Landes gekauft werden und die Produktion damit nicht Schritt halten kann.

Ebenso kann ein starker und alle Preise betreffender Preisanstieg durch die Angebotsseite einer Wirtschaft ausgelöst werden. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte Lohn-Preis-Spirale: Aufgrund der Marktmacht von Unternehmen dominieren die Gewinnerwartungen die Preisbildung (Profit Push Inflation). Umgekehrt können Gewerkschaften aufgrund ihrer Machtmacht (wenn vorhanden) Lohnsteigerungen durchsetzen. Akzeptieren Unternehmen nicht, dass sie dadurch geringere Gewinne machen oder können sie die gestiegenen Löhne nicht durch höhere Produktivität ausgleichen, werden sie diese höheren Kosten auf die Preise umlegen. Sie steigen. Die Vertreter der Arbeitnehmer versuchen ihrerseits, dies durch höhere Löhne auszugleichen. Und so weiter.

Inflation – Preiserhöhung

Von einer Inflation zu unterscheiden ist eine Preiserhöhung, die nur einzelne Güter betrifft oder nur in einzelnen Segmenten einer Wirtschaft auftritt. Dieser Preisanstieg kann auch zu einer Erhöhung des allgemeinen Preisniveaus führen, da einzelne Produkte Bestandteil vieler anderer Produkte sind wie zum Beispiel das Erdöl.

Die Situation 2022

Derzeit (August 2022) steigen besonders die Preise für Energie (vor allem Gas und Öl) sowie Lebensmittel. Da Energie für die gesamte Produktion gebraucht wird und da ohne die (fossilen) Energieträger ein Wirtschaften im Kapitalismus nicht möglich ist, steigen dadurch viele andere Preise.

Was sind die Gründe? Mit Beginn des Krieges in der Ukraine im Februar 2022 stiegen die Gaspreise sprunghaft an. Dies ist auf eine Gasmangellage infolge der Sanktionen gegen Russland sowie die reduzierte Liefermenge von Öl und Gas durch die russischen Betreiber zurückzuführen. Das geringere Angebot trifft auf einen in Deutschland liberalisierten Markt, so dass offenbar auch langfristige Lieferverträge von Gas an den Börsenpreis von Gas gekoppelt sind. In dieser Situation beauftragte die Regierung Deutschlands eine private Firma, die Trading Hub Europe (THE), an den Börsen in großen Mengen Gas einzukaufen. Diese starke Nachfrage eines Großkunden im staatlichen Auftrag trieb die Preise künstlich nach oben. Sie sind verzerrt. Kritiker argumentieren, dass dies hätte vermieden werden können, wenn THE wie üblich den Ein- und Verkauf von Gas über Termingeschäfte geregelt hätte.

Hinzu kommt das sogenannte Merit-Order-Prinzip auf dem Strom-Markt: Alle Anbieter rechnen nach dem Preis des teuersten Erzeugers ab. Das sind derzeit die Gaskraftwerke. Das hat zur Folge, dass zum Beispiel weit preisgünstigere Anbieter, zum Beispiel von Ökostrom, trotzdem zu hohen Preisen ihren Strom verkaufen. Durch die Berechnung der Strom-Preise machen sie hohe Gewinne, die mit leistungslosen Einkommen (Renten) gleichgesetzt werden können. Sie werden von den Verbrauchern über ihre Rechnungen gezahlt.

Eine Inflation ist daher nichts, was plötzlich über eine Gesellschaft hereinbricht. Sie kann durch unterschiedliche Entwicklungen und das Handeln verschiedener Akteure entstanden sein. Sie kann auch durch politische Fehlentscheidungen verursacht sein.

Konsequenzen einer Inflation für die Wirtschaft

Eine Inflation trifft die Menschen unterschiedlich. Wenn ihr Einkommen nicht mindestens ebenso steigt wie die Preise, können sie sich für dasselbe Geld weniger kaufen. Dies trifft besonders Menschen mit einem kleinen Portemonnaie hart. Zu ihnen gehören Erwerbslose, Familien, die von Kinderarmut betroffen sind oder Menschen in Altersarmut. Inflation schädigt ihre Existenz.

Inflation führt zu Verlusten bei den Gläubigern und zu Gewinnen bei den Schuldnern. Wer Geld oder Vermögen angelegt hat, verliert es. Denn es ist weniger wert, wenn die Preise steigen, nicht aber die Zinsen. Spiegelbildlich dazu gewinnen Schuldner, die einen Kredit aufgenommen haben. Wenn die Teuerungsrate höher ist als der Zins, zu dem ein Kredit aufgenommen wurde, zahlen sie weniger Schulden zurück. Dies kann auch den Staat betreffen, der so seine Staatsverschuldung abbauen kann.

Was heißt Deflation?

Damit wird eine umgekehrte Entwicklung bezeichnet. Die Preise sinken über eine längere Zeit und in verschiedenen Wirtschaftsbereichen, so dass das Preisniveau insgesamt sinkt. Unternehmen investieren nicht mehr, weil sie damit rechnen, dass die Preise noch weiter sinken und sie keine Gewinne machen. Ebenso halten sich Käufer zurück, weil sie erwarten, dass die Produkte und Dienstleistungen noch billiger werden. Eine Rezession droht. Doch der Wert des Geldes steigt.

Was heißt Stagflation?

Dieses Wort ist eine Zusammensetzung aus „Stagnation“ und „Inflation“. Es zeigt an, dass im Bereich der Realwirtschaft (der Produktion und dem Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen) ein nur geringes Wachstum und oft auch Arbeitslosigkeit gibt. Die wirtschaftliche Entwicklung stagniert. Auf der Geldebene der Wirtschaft findet zur gleichen Zeit dauerhafter Preisanstieg in nahezu allen Bereichen der Wirtschaft statt.

Eine Stagflation wird häufig durch sogenannte Angebotsschocks ausgelöst. Beispiele hierfür sind die Energiekrise in Europa spätestens seit 2022 oder gestörte Lieferketten infolge der Corona-Krise 2020-2021 und andere. Dadurch kommt die Produktions ins Stocken, zugleich verteuern sich die Produkte.

Was tun gegen eine Inflation?

Ursachen bekämpfen

Zunächst gilt es, die Ursachen für den Anstieg der Teuerungsrate in den Blick zu beheben. Im Zusammenhang mit der aktuellen Situation (2022) bedeutet dies, a) Zugang zu preiswertem Öl und Gas zu gewinnen und b) die Preisbildungsmechanismen auf den Öl- und Gasmärkten zu ändern.

Politik der Zentralbank

Die Zentralbank eines Wirtschaftsraums hat die Aufgabe, ein stabiles Preisniveau sicher zu stellen. (Die Federal Reserve der USA hat außerdem Auswirkungen der Geldpolitik auf den Arbeitsmarkt zu berücksichtigen.) In „normalen“ Zeiten verfolgt die Europäische Zentralbank das Ziel einer Inflationsrate von fast 2%. Dies wird als erforderlich angesehen, um Wachstum zu ermöglichen. Kommt es zur Inflation, kann sie die Zinsen erhöhen. Dadurch werden seltener Kredite aufgenommen, seltener investiert, weniger produziert, verkauft und nachgefragt. Dies kann dämpfend wirken. Es kann aber auch eine Deflation einleiten. Diese Gefahr besteht dann, wenn die Ursachen mit einer solchen Zinspolitik nicht behoben werden können.

Tipps für jede/n Einzelne/n

Die Empfehlungen stehen in Abhängigkeit von der Vermögenssituation jeder Bürgerin/jedes Bürgers.

– Versuchen, die Situation zu verstehen, die Ursachen zu erkennen und mögliche Entwicklungen einzuschätzen.

– Bei Prognose einer längerfristig anhaltenden Inflation: langfristige Gebrauchsgüter jetzt anschaffen (z.B. Drucker, PC, Fahrrad etc.).

– Bei Erwartung einer mittelfristigen bzw. vorübergehenden Inflation: Verzicht auf den Kauf von (langlebigen) Gütern und Dienstleistungen.

(Beide Strategien sind aus der Sicht einer Einzelperson rational. Wenn viele so handeln, kann dies krisenverstärkend wirken.)

– Erwerb von Immobilien oder/und Territorium, am besten solches, das auch landwirtschaftlich genutzt werden kann.

– Zusammenschließen mit anderen zu Genossenschaften oder aktiven Freundeskreisen, die sich unterstützen und selbst Nahrungsmittel anbauen.

– Erwerb von Silber oder/und Gold, um im äußersten Fall des Währungsausfalls ein Tauschmittel zu haben.

– Vorrätig halten von Bargeld, da es aufgrund mehrerer, gleichzeitig ablaufender Krisen zu einem Bankrun kommen kann.

– Gegebenenfalls Erwerb von Aktien oder Anleihen nach ausführlicher Beratung mit verschiedenen Anbietern und z.B. Verbraucherschutzorganisationen; Berücksichtigung von ethischen Aspekten (keine Aktien für Krieg und Rüstungsindustrie) sowie wirtschaftlichen Entwicklungen (Zukunft mittelständischer Unternehmen).

– Anlegen von Krisenvorräten: Informationen sollte das Innenministerium jedes Landes bereitstellen. Andere Hinweise sind zahlreichen Internetquellen zu entnehmen.

– Keine Markenprodukte kaufen, andere sind ebenso gut, aber preiswerter,

– Nur notwendige Versicherungen und Verträge abschließen, gegebenenfalls kündigen, zum Beispiel Mobilfunkverträge, Zeitungsabos, Reparaturversicherung, Versicherungen für Glas, Brillen, Handys etc.

– Sich politisch engagieren für eine Wirtschaftspolitik, in der sich Inflation und Deflation erübrigen. Demokratie braucht Beteiligung! Die Macht der Bürger/innen ist oft größer, als sie es denken mögen.

Literatur

Brächer, Michael / Schultz, Stefan, Deutschlands teure Gashamsterei, DER SPIEGEL, 42/2022, 14.10.2022, https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/energiekrise-nachlaessigkeit-beim-gaseinkauf-soll-preise-in-die-hoehe-getrieben-haben-a-75cee149-18c9-4658-b863-b52cf4597271 (03/09/2022)

Budzinksi, Oliver / Jasper, Jörg / Michler, Albrecht, F., Inflation, in: Gabler Wirtschaftslexikon, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/inflation-39320/version-262731 (03/09/2022)

European Central Bank | EUROSYSTEM, Inflation measurement and the strategy review, https://www.ecb.europa.eu/home/search/review/html/inflation-measurement.en.html (03/09/2022)

EUROSTAT | Euro-Indikatoren, Schnellschätzung – Oktober 2022. Jährliche Inflation im Euroraum auf 10,7% gestiegen, https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/15131964/2-31102022-AP-DE.pdf/4675c498-4825-af49-fcfa-0aebf563cd22?t=1666964020348 (31.10.2022)

EUROSTAT, HPVI-Inflationsrate, https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/tec00118/default/table?lang=de (30.10.2022)

Merit Order, in: Wikipedia, https://en.wikipedia.org/wiki/Merit_order (03/09/2022)

Mitteldeutscher Rundfunk, Kurz erklärt – das Merit-Order-Prinzip, https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wirtschaft/video-652078.html (03/09/2022)

Wohltmann, Hans-Werner, Stagflation, in: Gabler Wirtschaftslexikon, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/stagflation-45364 (03/09/2022)

Die Euro Story. Film

Mehrfach wurde er schon totgesagt: der Euro. Doch er besteht fort. Wie kann es weiter gehen? Welche Chancen bieten dafür die gegenwärtigen Krisen? Wovon hängt es ab, dass sie genutzt werden? Ein Film anlässlich der Einführung des Euro vor nunmehr 20 Jahren.

Auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=UNQsWfjLd3w

Aus der Ankündigung:

An seinem 20. Geburtstag kämpft der Euro immer noch mit seinen Geburtsfehlern und leidet unter den ständigen Spannungen zwischen den kollektiven und nationalen Interessen der europäischen Partnerstaaten. Doch die Coronakrise könnte das alles verändern: Der Euro steht am Scheideweg und der Moment der Entscheidung für diesen alten europäischen Traum rückt näher.

Im Dokumentarfilm „Die Euro Story“ kommen die wichtigsten Zeitzeugen für das Europrojekt zusammen, um die Vergangenheit zu reflektieren, die Gegenwart zu analysieren und Hoffnungen und Ängste für die Zukunft zu artikulieren: Wolfgang Schäuble, Romano Prodi, Theo Waigel, Jean-Claude Juncker, Jean-Claude Trichet, Yanis Varoufakis, Giuliano Amato und Nouriel Roubini sind zwar keine Historiker, aber sie waren dabei, als die bedeutendste Periode der europäischen Integration ihren Lauf nahm.

Zum 20. Geburtstag des Euro teilen die Macher ihre Erinnerungen an diese monumentale Aufgabe, die Guten und die Schlechten, die Erfolge und Fehler, die Freuden und Ernüchterungen.

Autorin und Regie : Annalisa Piras

DE, 2021, zdf

Quelle: arte.de

Politische Bildung heute

Im Oktober 2021 erschien beim Wochenschau-Verlag der Band „Standortbestimmung Politische Bildung. Gesellschaftspolitische Herausforderungen, Zivilgesellschaft und das vermeintliche Neutralitätsgebot“. Er wurde von Prof. Dr. Tonio Oeftering und Dr. Steve Kenner herausgegeben.

Die Projektleiterin von weltgewandt e.V., Sophia Bickhardt, hat dazu den Beitrag „Weltoffenheit braucht Weltverstehen. Politische Erwachsenenbildung im Digital-Kapitalismus“ verfasst. Darin wird u.a. Bezug auf die politisch-ökonomische Bildung und Fragen zur Digitalisierung des Geldes genommen. Die erwähnte Lernplattform zur sozio-ökonomischen Bildung konnte aufgrund von technischen Herausforderungen noch nicht online gestellt werden. Dies ist für Anfang des Jahres 2022 vorgesehen.

Krisen überwinden – Zukunft gestalten

Workshop auf dem Digital-Forum der Gesellschaft für Sozioökonomische Bildung und Wissenschaft

Anstelle ihrer Jahrestagung veranstaltet die GSÖBW am 19. März 2021, 9-13 Uhr ein Digital-Forum. Zwei Vertreterinnen von weltgewandt e.V. werden das Projekt “Frischer Wind für die Ökonomie – in Europa” vorstellen. Die allgemeine Einführung wird mit der Vorstellung des entstandenen Beitrags zum Thema Geldschöpfung und zur Modern Monetary Theory (MMT) samt einer didaktischen Übung verbunden.

Informationen zum Programm und zur Anmeldung finden Sie / findet Ihr auf der Website der GSÖBW. Die Veranstaltung ist kostenfrei. Wir laden herzlich ein!

Wirecard: der Skandal, die Konsequenzen

Wirbel um Finanzbetrug. Wie steht es um den Schaden für die Gesellschaft? Ein Vergleich.

2018 wurde Wirecard Teil des Deutschen Aktien Index (Dax) und galt damit als eines der dreißig wichtigsten Unternehmen in Deutschland. Das Geschäftsmodell von Wirecard waren digitale Bezahldienste. Für eine kurze Weile schien Wirecard das einzige europäische Unternehmen zu sein, das sich anschickte in einer Liga mit den amerikanischen Tech-Firmen zu spielen. Heute wissen wir es besser:

Nach bisherigem Stand der Ermittlungen machte Wirecard jahrelang Verluste. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass das Unternehmen seit 2015 Scheingewinne auswies. Mehr als drei Milliarden Euro könnten verloren sein. In dem Fall stehen auch die Finanzaufsicht Bafin und eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in der Kritik, denen der Betrug nicht auffiel.“ (faz, dpa, 8.10.2020)

Als politische Konsequenz schlägt die Bundes-Regierung nun einen Aktionsplan vor: „Wirtschaftsprüfer sollen künftig nicht nur bei vorsätzlichem Betrug, sondern auch bei grober Fahrlässigkeit haften. Wer Bilanzen von Unternehmen prüft, soll diese nicht mehr gleichzeitig beraten dürfen. Staatliche Kontrolleure der Finanzaufsicht Bafin sollen striktere Durchgriffsrechte bekommen, Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen mehr Informationen, Anleger und Verbraucher mehr Rechte.“ (Süddeutsche Zeitung vom 8.10.2020)

Gleichzeitig nimmt nun auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss seine Arbeit auf, der die Rolle der einzelnen Akteure einschließlich die von Politiker:innen beleuchten soll. Denn während die Financial Times der deutschen Tech-Erfolgsgeschichte schon seit einigen Jahren misstraute und immer wieder über mögliche Fehler in den Bilanzen schrieb, verteidigte die deutsche Bafin aber auch die deutsche Regierung Wirecard – und wiegte so die Anleger:innen in Sicherheit.

(Mehr zu dem Angriffs-und-Verteidigungsduell zwischen der Financial-Times und deutschen Institutionen: Wirecard: the timeline und „Das wahre Ende der Deutschland-AG“ vom Redaktionsnetzwerk Deutschland.)

Eine entdramatisierende Haltung zu dem Skandal nimmt ausgerechnet die vielfach als „links“ geltende tageszeitung/taz, ein. Unter der Überschrift „Betrug braucht gute Stories“ wird argumentiert, dass der Wirecard-Skandal im Vergleich zu anderen Finanz-Skandalen überschätzt würde. Bilanzbetrug sei relativ selten. Irgendwann fliege die Sache auf, die Aktionär:innen verlören ihr Geld, die Betrüger würden strafrechtlich belangt. Der Schaden sei überschaubar und die Rechtsordnung wäre durch Strafe wiederhergestellt. Gefährlicher würde es, „wenn alle Banken gleichzeitig auf den gleichen Unsinn wetten.“

Viel schlimmer als der Wirecardbetrug, dessen Schaden auf die Anleger:innen und einige Geschäftspartner:innen beschränkt bliebe, seien Skandale, die die Gesellschaft als solche schädigten. Wie die Finanzkrise 2008, als der ganze Finanzsektor Casino spielte und eine globale Wirtschaftskrise auslöste. Trotz der riesigen Dimension seien Banker so gut wie nicht bestraft und wären vor allem die Regeln für den Finanzsektor nicht ernsthaft verändert worden, um eine Wiederholung zu verhindern. Auch die Cum-Ex-Betrugsfälle oder Steuerhinterziehung schädigten die Gesellschaft viel stärker als der Wirecard-Betrug – zögen aber weniger Aufmerksamkeit auf sich und hätten weniger Konsequenzen.

Aus dem Skandal könne man lernen: Whistleblower zu honorieren, die Kompetenzen der Bafin auszuweiten und die Fahnder gezielt einzusetzen. „Nicht Bilanzfälschung ist das größte Problem, sondern Steuerbetrug.“

Foto: Markus Fiedler auf unsplash.com

2050: Klimaneutrales Europa

Ende 2019 hat die Europäische Kommission den „European Green Deal“ vorgestellt, der eine Reihe von politischen Initiativen mit dem gemeinsamen Ziel umfasst, Europa im Jahr 2050 klimaneutral zu machen. Ursula von+mnb der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, erklärte dazu: „Der Europäische Grüne Deal ist unsere neue Wachstumsstrategie. Er wird uns helfen, Emissionen zu reduzieren und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen.“ Die Kommission wird ein europäisches Klimagesetz vorschlagen, das neue Rechtsvorschriften für die Kreislaufwirtschaft, die Landwirtschaft, ressourceneffizientes Bauen oder die biologische Vielfalt enthalten wird. Die Europäische Kommission plant, in alle Wirtschaftssektoren zu investieren, um ihr ehrgeiziges Ziel zu erreichen, die EU von einer kohlenstoffreichen in eine kohlenstoffarme Wirtschaft umzuwandeln. Im September 2020 veröffentlichte die Europäische Kommission eine Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen für Forschungs- und Innovationsprojekte im Wert von 1 Milliarde Euro, die auf die Klimakrise reagieren und zum Schutz der einzigartigen Ökosysteme und der biologischen Vielfalt in Europa beitragen. Weitere Informationen finden Sie unter: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_20_1669

Einblicke in den Maschinenraum

Oeconomia – die Entstehung von Geld und Schulden: Die Filmemacherin Carmen Losmann stellt naiv anmutende Fragen, die doch ins Mark unseres Wirtschaftssystems treffen: Wie kommt Geld in die Welt? Wer übernimmt die Schulden? Wächst eine Wirtschaft nur, wenn die Kredite wachsen? Ist Gewinn nur möglich, wenn Menschen, Unternehmen oder der Staat sich verschulden? Wer kollabiert zuerst, unser Ökosystem Erde oder der Kapitalismus? Im Film werden grundlegende wirtschaftliche Zusammenhänge anschaulich dargestellt und durch prominente Banker bestätigt. Zu Wort kommen auch Bürgerinnen und Bürger, die diese Zusammenhänge aufspüren und kritische Fragen stellen. Ein lehrreicher Film, der doch kein Lehrfilm ist, häufig zum Schmunzeln veranlasst – und Lust macht, sich weiter mit diesen Fragen zu beschäftigen.

Bild: City of London, Wikipedia

Was sind Märkte?

Wie Märkte entstehen und bestehen“ – dieser Frage geht Reinhold Hedtke, Professor für Wirtschaftssoziologie und Didaktik der Sozialwissenschaften, nach. Meist wird „Markt“ als das Vorhandensein von Angebot und Nachfrage und deren Ausgleich über a) den Preis oder b) die Menge definiert. So kann zum Beispiel aufgrund ungewöhnlicher Umstände die Nachfrage nach Toilettenpapier sprunghaft ansteigen. Bei dann geringerem Angebot steigt der Preis. Wird wieder mehr von dem ‚teuren Gut‘ produziert und damit angeboten, sinkt wieder der Preis. Das ist die neoklassische Interpretation. Es gibt aber auch andere. Eine davon ist die der „Ökonomie der Konventionen“. Demnach stehen nicht die Preise im Mittelpunkt. Es sind vielmehr die Übereinkünfte zwischen den Akteuren auf Märkten, Kooperation und politische Aushandlungen. Ein gutes Beispiel hierfür sind Messen und Weltausstellungen. In dem Band „Ökonomie und Gesellschaft“ der Reihe „Themen und Materialien“ stellt R. Hedtke diese Erklärung von Märkten vor. Er veranschaulicht sie an einem recht einfachen Beispiel: dem Orangensaft. Das Kapitel umfasst eine Einführung ins Thema sowie Lehr- und Lernmaterialien für die Bildungsarbeit. Wir machen es hiermit gern zugänglich.

Anmerkung: Das Layout des Aufsatzes entspricht nicht aktuellen Ansprüchen. Davon muss man sich nicht abschrecken lassen. In der Originalausgabe sowie der Druckversion des Bandes – die schnell vergriffen war – war es deutlich ansprechender gestaltet.

Bild: Koen Emmers auf Unsplash

Wandel: by design oder by desaster?

Andreas Novy von der Wirtschaftsuniversität Wien und Kollege in diesem Projekt, veröffentlichte im April 2020 zusammen mit Richard Bärnthaler und Veronika Heimerl das Buch „Zukunftsfähiges Wirtschaften“.

Was ist damit gemeint?

In der Ankündigung zu einer Lehrveranstaltung von Andreas Novy heißt es:

* Veränderungen nicht leugnen, sondern gestalten: „Das einzig Sichere ist, dass es nicht so bleibt wie es ist“. Transformation passiert, entweder by design, spontan oder by desaster.

* (individuell und gesellschaftlich) die Fähigkeit erlernen, Widersprüche wahrzunehmen und zu bearbeiten: Oft gibt es keine simplen Wahrheiten über den einen Weg zur guten Zukunftsentwicklung (richtig-falsch); manchmal eröffnet Respekt für andere Perspektiven den eigenen Horizont.

Quelle: Wirtschaftsuniversität Wien

Auf der Seite des Verlags wird das Buch wie folgt vorgestellt:

Die Welt, so wie wir sie kennen, ist im Umbruch. War die derzeitige Wirtschaftsweise für viele ein Erfolgsmodell, untergräbt sie heute ökologische Nachhaltigkeit und sozialen Zusammenhalt. Doch was heißt angesichts grundlegender Transformationen zukunftsfähiges Wirtschaften? Was bedeutet es in einer global verwobenen Welt, Verantwortung für nachhaltiges und gerechtes Wirtschaften zu übernehmen? Statt die eine Lösung zu präsentieren, plädieren die AutorInnen für eine neue Kunst des Abwägens unterschiedlicher Sichtweisen und für Offenheit bei der Erforschung neuer Wege in die Zukunft.

Quelle: Beltz-Verlag

Angaben zu den Autoren enthält der Infoflyer, das Inhaltsverzeichnis lässt die Perspektivenvielfalt und thematische Breite erkennen, die Leseprobe mag davon überzeugen, sich mit dem schmalen, aber gehaltvollen Band eingehend zu beschäftigen.

Was noch aussteht, sind Rezensionen. Wir verweisen gern darauf – und könnten so den eigenen Anspruch der Perspektivenvielfalt einlösen. Also, greif zur Feder, Bürger/in. Oder in die Tasten…

Novy, Andreas, Bärnthaler, Richard, Heimerl, Veronika. 2020. Zukunftsfähiges Wirtschaften. Weinheim, D: Beltz/Juventa.

Corona-Bonds: Ja oder Nein?

Im Zuge der Corona-Pandemie wurde ein schon älterer Vorschlag diskutiert: Euro-Bonds, etwas verändert nun als Corona-Bonds. Was ist die Idee? Was spricht dafür? Was spricht dagegen?

Ja, Corona-Bonds sind nötig

Ulrike Herrmann, Wirtschaftskorrespondentin der taz und Autorin mehrerer Bücher, darunter „Der Sieg des Kapitals“, „Deutschland ein Wirtschaftsmärchen“, „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“, spricht sich klar für Corona-Bonds aus:

In angeblich reichen Ländern wie Österreich, Deutschland, den Niederlanden oder Finnland hält sich hartnäckig der Irrtum, man würde für andere Länder zahlen, wenn man gemeinschaftliche Anleihen ausgibt. Dann kursiert immer die Sorge, dass man als Deutscher oder Österreicher seine Steuergelder nach Italien schicken würde. Das ist aber Quatsch. Es geht um Kredite, die man gemeinsam aufnimmt. Das ist schon alles. Niemand in Deutschland oder Österreich würde einen einzigen Cent verlieren.

Die Politiker/innen der genannten Länder würden Corona-Bonds ablehnen, weil sie befürchteten, dass deren Einführung die rechtspopulistischen Parteien im eigenen Land stärken könnten. Allerdings würde dabei nicht bedacht, dass eine ausbleibende Unterstützung von Staaten wie Italien und Spanien die wirtschaftlichen Probleme dort nur vergrößerten – und damit die Rechtspopulisten dieser Länder vermehrt Zuspruch erhalten würden. Sie warnt:

Die Italiener fragen sich ja bereits, was sie vom Euro eigentlich haben, wenn nur die Deutschen und Österreicher davon profitieren. Das wäre nicht nur ein wirtschaftliches Desaster, man hätte auch Europa zerstört. Das ist ein Preis, den man gar nicht zahlen kann. Die Corona-Bonds hingegen würden gar nichts kosten. Das ist das Wahnsinnige: Es wird etwas verhindert, was gratis wäre, um dann den Gesamtschaden in exponentielle Höhen zu treiben.

Das ganze Interview vom 17.04.2020 mit weiteren Überlegungen zu höheren Löhnen, einer angemessenen Besteuerung von Unternehmen, der Bekämpfung von Steuervermeidung und einem friedlichen Ausstieg aus der Logik des Wirtschaftswachstums ist in der Zeitschrift Moment nachzulesen.

Jein – jetzt ja, ansonsten nein

Unter dem Titel „Was sind Corona-Bonds – und warum sind sie so umstritten?“ führt das Redaktionsnetzwerk Deutschland auch Argumente von Kritikern an. Die gemeinschaftliche Kreditaufnahme zur Finanzierung der Krisenlasten wird dabei nicht abgelehnt. Eher ist es die Befürchtung, das Instrument könnte von Dauer sein.

Wie ist die Haltung in der Bevölkerung?

Die Redaktion der Zeitschrift Cicero bezieht sich auf eine INSA-Umfrage, wonach 64,1% der Befragten zwischen dem 27. und 30. März 2020 die Einführung von Corona-Bonds ablehnten. Dies träfe besonders auf Anhänger/innen von CDU, FDP und AfD zu. Im Westen der Republik sei der Anteil der Gegner höher als im Osten; mehrheitlich seien es Männer, die sich dagegen aussprachen.

Auf dem Portal Open Petition können Bürgerinnen und Bürger ihre Meinung zum Thema kundtun. Interessant, welche Argumente angeführt werden. Beteiligen Sie sich / mach mit!